Buch des Monats April 2020

Hello World

Hannah Fry
 
H. Fry: Hello World

Beschreibung

von Martin Skrodzki
Das Sachbuch „Hello World“ der britischen Mathematikerin Hannah Fry trägt den deutschen Untertitel „Was Algorithmen können und wie sie unser Leben verändern“. Während dieser Untertitel eine Hälfte des Inhalts bereits treffend umreißt, müsste eine vollständige Inhaltsbeschreibung noch einen Zusatz umfassen: „Was Algorithmen können, was sie nicht können, und wie sie unser Leben verändern“ Die andere Hälfte von Frys Text beschäftigt sich folgerichtig mit eben genau dieser Frage, wo automatische Prozesse auch falsch liegen können.
In den sieben Kapiteln „Macht“, „Daten“, „Justiz“, „Medizin“, „Autos“, „Kriminalität“ und „Kunst“ widmet sich die Autorin dem Nutzen und Schaden von Algorithmen, jeweils auf der Projektionsfläche dieser verschiedenen Anwendungsbereiche. Dabei beschreibt sie nicht die konkrete Funktionsweise der Algorithmen, sondern fokussiert immer auf deren gesellschaftliche Auswirkungen. Die Lektüre dient daher nicht dem Erlernen konkreter Verfahren, sondern der Reflexion über den Einsatz moderner Automatismen.
Um auch nicht vorgebildeten Leserinnen und Lesern die Möglichkeit dieser Erwägungen zu geben, werden alle Themen stets mit einer Vielzahl von kurzweiligen und lebensnahen Beispielen illustriert. Diese beleuchten zum einen das Versagen von Algorithmen, wenn etwa das Navigationssystem eine Straße anzeigt, wo eigentlich ein Abgrund ist. Oder wenn Software zur Vorhersage von Rückfälligkeit bei Kriminellen gewisse Bevölkerungsgruppen systematisch benachteiligt. Zum anderen geht es aber auch um Erfolgsgeschichte der Algorithmen. So konnte in Großbritannien ein Serientäter gefasst werden, da ein Computerprogramm aufgrund der Tatorte den Wohnort des Verbrechers mit genügend Präzision bestimmen konnte, und so die Polizei mit einer neuen Spur versorgte. Außerdem leisten Algorithmen in der medizinischen Bildverarbeitung Erstaunliches, wo sie zum Beispiel Onkologen bei der Suche nach Auffälligkeiten im Gewebe unterstützen, so dass früheres Erkennen und Therapieren von Krebs möglich ist.
Zum Nachdenken regen dann aber andere Geschichten an, die eher zwischen den Extremen des Erfolgs und des Versagens liegen. Zweifellos profitieren zum Beispiel Kunden einer Supermarktkette davon, wenn sie per Kundenkarte Rabatte bekommen oder Punkte sammeln können, die sich dann gegen Prämien eintauschen lassen. Wenn nun aber die Firma aus den Daten, die bei diesen Einkäufen gesammelt werden, errechnen kann, welche Kundinnen aktuell schwanger sind und diese Kundinnen gesondert mit passgenauer Werbung versieht, wird die Macht dieser Datensammlungen deutlich. Ebenso nutzen Milliarden Menschen weltweit täglich soziale Netzwerke, um im Kontakt zu bleiben, sich auszutauschen, neue Arbeitsstellen zu suchen, oder um Partnerinnen und Partner zu finden. Skandale, wie der um das Unternehmen Cambridge Analytica, führen dann aber auch hier schnell das Missbrauchspotential vor Augen, das in sozialen Netzwerken schlummert. Ähnlich verhält es sich mit genetischen Daten. Es ist spannend, die eigene Ahnengeschichte zu ergründen, aber steht es in einem Verhältnis, dafür einer Firma das komplette eigene Genom zu offenbaren?
Genau die Beschreibung solcher grauen Bereiche der Anwendungen von Algorithmen machen Frys Sachbuch zu einer spannenden und unterhaltsamen Lektüre, die man nur schwer aus der Hand legen kann. Am Schluss ihres Buches fasst die Autorin selbst nochmals zusammen: „Die Automatisierung [hat] tiefgreifende positive Auswirkungen auf unser Leben. … [Aber] wo man auch hinschaut … überall gibt es Probleme, … die einfach nicht verschwinden werden. … Aber vielleicht ist genau das der Punkt. Vielleicht ist der Fehler, dass wir Algorithmen als eine Art Autorität betrachten.“ (S. 233) Die Entscheidungen von Algorithmen zu hinterfragen, nicht allem blind zu vertrauen, das eine Maschine bestimmt hat, sondern es gegen unsere Wahrnehmung abzuwägen. Dafür plädiert jedes Kapitel. Es ist der Versuch eine gesellschaftliche Debatte anzuregen – nicht die Frage zu beantworten, ob wir mit Algorithmen leben wollen. Denn auf die Vorteile wollen wir trotz der Nachteile nicht verzichten. Wir müssen also diskutieren, wie wir mit automatischen Entscheidungen umgehen wollen. Für diesen Diskurs liefert Fry viel argumentativen Stoff.
 

Bibliografische Daten

Autorin:Hannah Fry
Titel:Hello World
Verlag:C. H. Beck
ISBN:978-3-406-73219
Preis:19,95 €