Mathematiker des Monats März 2016
Helmut Hasse (1898-1979)
von Karin Reich und Peter Roquette
 
Helmut Hasse
Helmut Hasse
 
Helmut Hasse gehört zu den bedeutendsten Zahlentheoretikern des 20. Jahrhunderts. Er erkannte die große Bedeutung der von Hensel eingeführten p-adischen Zahlen. Wenn heute die p-adik als ein unentbehrliches Handwerkszeug der Zahlentheoretiker gilt, dann ist dies vornehmlich Hasse zu verdanken.
In Kassel am 25. August 1898 geboren, legte Hasse sein Abitur - es war eine Notreifeprüfung - im Juni 1915 am Fichte-Gymnasium in Berlin-Wilmersdorf ab. Danach trat er als Anwärter für das höhere Marine-Baufach bei der Kaiserlichen Marine ein und stand bis zum Ende des Krieges in aktivem Marinedienst.
Im WS 1917/18 begann Hasse sein Studium der Mathematik an der Universität Kiel, Ende 1918, nach dem Krieg, konnte er sein Studium an der Universität Göttingen fortsetzen. Im Jahre 1920 wechselte er an die Universität Marburg, wo er 1921 die Fachprüfung für das höhere Lehramt in Mathematik sowie in Physik bestand. Sein wichtigster Lehrer in Marburg war Kurt Hensel, bei dem Hasse 1921 über das Thema „Zur Theorie der quadratischen Formen insbesondere ihrer Darstellbarkeitseigenschaften im Bereich der rationalen Zahlen und ihrer Einteilung in Geschlechter“ promovierte. Diese Arbeit, 88 Seiten umfangreich, wurde in gekürzter und umgearbeiteter Form publiziert. Hier veröffentlichte Hasse erstmals das Lokal-Global-Prinzip und zwar für quadratische Formen für den rationalen Zahlkörper. Kurt Hensel war ein Enkel der Komponistin Fanny Hensel, die wiederum die ältere Schwester des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy war. Unter Hasses Vorfahren mütterlicherseits befand sich eine Familie Itzig, die schon einige Generationen früher in die Familie Mendelssohn eingeheiratet hatte.
Titelblatt der Dissertation
Titelblatt der Dissertation
 
Bereits ein Jahr später, 1922, konnte sich Hasse - ebenfalls in Marburg – habilitieren. In seiner Habilitationsschrift konnte er das Lokal-Global-Prinzip für quadratische Formen aus einem beliebigen algebraischen Zahlkörper vorstellen. Damit löste er das 11. Problem der von Hilbert in Paris im Jahre 1900 vorgestellten Probleme. Bereits in Marburg übernahm Hasse redaktionelle Aufgaben für das Journal für die reine und angewandte Mathematik (Crelles Journal), bis zu seinem Lebensende blieb er dieser Zeitschrift eng verbunden und war später Mitherausgeber bzw. alleiniger Herausgeber.
Im Herbst 1922 wechselte Hasse als Privatdozent an die Universität Kiel, wo er einen bezahlten Lehrauftrag erhielt. Dort hielt er erstmals eine Vorlesung über die Klassenkörpertheorie. Diese konnte Hasse im Laufe der Zeit mittels des Lokal-Global-Prinzips für Algebren über Zahlkörper neu formulieren, im Jahre 1926 erschien eine erste Publikation darüber. 1923 begann Hasse sein mathematisches Tagebuch zu schreiben. Es war dies auch das Jahr, in dem Hasse seinen überaus bedeutungsvollen Briefwechsel mit dem gleichaltrigen Emil Artin (Universität Hamburg) begann. Mittels der von Hasse weiterentwickelten Klassenkörpertheorie konnte das Artinsche Reziprozitätsgesetz auf eine neue Grundlage gestellt werden. Artin bezeichnete dies als „den größten Fortschritt der algebraischen Zahlentheorie der letzten Jahre“. 1925 wurde Hasse als ordentlicher Professor für Mathematik an die Universität Halle berufen, wo er seine glücklichste und produktivste Zeit verlebte; in diesem Jahr 1925 begann auch sein Briefwechsel mit Emmy Noether. In Halle publizierte Hasse sechs das Reziprozitätsgesetz betreffende Arbeiten, ein Thema, das ihn auch in späteren Jahren nicht losließ. In den Jahren 1926 und 1927 konnte Hasse ferner sein zweibändiges Lehrbuch über „Höhere Algebra“ veröffentlichen, das zahlreiche Auflagen erlebte und 1954 auch in englischer übersetzung herauskam. Hasse zählte nunmehr zu den erfolgreichsten Zahlentheoretikern seiner Zeit.
Im Jahre 1930 folgte Hasse einem Ruf als Nachfolger von Kurt Hensel an die Universität Marburg. Zu seinen wichtigsten Arbeitsgebieten gehörte jetzt auch die algebraische Geometrie der Kurven und die Riemannsche Vermutung, genauer gesagt, das „Analogon zur Riemannschen Vermutung“, nämlich das Analogon für die ζ-Funktionen der globalen Körper der Charakteristik p>0.
Hermann Weyl, der 1930 als Nachfolger von David Hilbert an die Universität Göttingen berufen worden war, emigrierte 1933 aus politischen Gründen nach Princeton; Helmut Hasse wurde ein Jahr später, 1934, sein Nachfolger. In Göttingen wurde Hasse verdächtigt, den Nazis nicht genügend nahe zu stehen. In der Nachkriegszeit wurde der Spieß umgedreht und man verdächtigte ihn, ein Nazi gewesen zu sein.
Im Jahre 1938 beantragte Hasse die Mitgliedschaft in der NSdAP; wegen seiner jüdischen Vorfahren wurde der Antrag bis Kriegsende zurückgestellt.
Am 30. März 1940 wurde Hasse einberufen und übersiedelte nach Berlin. Dort leitete er bis 1945 eine Forschergruppe im Oberkommando der Kriegsmarine. Nach dem Krieg, im Juni 1945, kehrte Hasse nach Göttingen zurück. Am 17. September 1945 ordnete die britische Militärregierung Hasses Entlassung an, und zwar mit sofortiger Wirkung. Die einzige Begründung war, dass er Parteimitglied gewesen sei, was aber nicht stimmte. 1946 folgte Hasse gemeinsam mit Erhard Schmidt einem Ruf nach Berlin. Am 1. Oktober 1946 wurde von Seiten der Berliner Akademie das „Forschungsinstitut für Mathematik“ gegründet, wobei Hasse zu den vier „Gründungsprofessoren“ gehörte. An dieser Institution wirkte er bis 1949. Ende des Jahres 1948 wurde Hasse entnazifiziert, seine Fürsprecher waren vor allem der bereits 1947 verstorbene Erich Hecke, Konrad Knopp und Hans Rohrbach. Am 23. Mai 1949 wurde Hasse zum Ordinarius für reine Mathematik an der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin ernannt.
1950 erhielt Hasse einen Ruf an die Universität in Hamburg, wo er am 31. Januar 1951 seine Antrittsvorlesung über „Mathematik als Wissenschaft, Kunst und Macht“ hielt. Im Jahre 1953 wurde Hasse mit dem Nationalpreis der DDR ausgezeichnet.
Hasse wurde1966 in Hamburg emeritiert und nahm danach noch mehrere Gastprofessuren im Ausland wahr. Er starb am 26. Dezember 1979 in Ahrensburg bei Hamburg.
Hasse hat mehr als 30 Doktoranden betreut, er veröffentlichte 165 Arbeiten in Zeitschriften und 15 Monographien, darunter zahlreiche Lehrbücher. Noch zu seinen Lebzeiten, 1975, erschienen seine „Mathematischen Abhandlungen“ in drei Bänden, die seine beiden ehemaligen Doktoranden Heinrich Wolfgang Leopoldt und Peter Roquette herausgaben. Hasses sehr umfangreicher Nachlass wird in der Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen aufbewahrt, das Findbuch dazu umfasst 327 Seiten! Hasse unterhielt eine weitreichende Korrespondenz, im Findbuch sind 1929 einzelne Korrespondenten erwähnt, wobei Institutionen nicht mitgezählt wurden.
 

Referenzen

[1]   Günther Frei und Peter Roquette: Helmut Hasse in Halle
[2]   Günther Frei, Franz Lemmermeyer und Peter Roquette (Hrsg.): Emil Artin and Helmut Hasse. The Correspondence 1923-1958, Springer, Basel 2014, ISBN 978-3-0348-0714-2
[3]   Franz Lemmermeyer und Peter Roquette (Hrsg.): Helmut Hasse und Emmy Noether: die Korrespondenz 1925-1935, Universitätsverlag, Göttingen 2006, ISBN 3-938616-35-0
[4]   Franz Lemmermeyer und Peter Roquette (Hrsg.): Die mathematischen Tagebücher von Helmut Hasse 1923-1935, Universitätsverlag, Göttingen 2012, ISBN 978-3-86395-072-9
[5]   Hans Rohrbach: Helmut Hasse und Crelles Journal, Mitteilungen der Mathematischen Gesellschaft in Hamburg XI, Heft 1, 1982, S. 156-166
 

Bildnachweis

Porträt   Konrad Jacobs, mit freundlicher Genehmigung vom Bildarchiv des Mathematischen Forschungsinstituts Oberwolfach
Titelblatt   mit freundlicher Genehmigung der Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz, Sign.: MS 22/7971