Mathematiker des Monats Mai 2017
Enno Heeren Dirksen (1788-1850)
von Menso Folkerts
 
Enno Heeren Dirksen
Totenmaske von Enno Heeren Dirksen
 
Enno Heeren Dirksen gehört zu den Mathematikern, die bald nach der Gründung an die Berliner Universität berufen wurden. Dirksen war der Sohn eines Landarbeiters aus Eilsum bei Emden in Ostfriesland. Er erhielt von 1803 – 1807 durch den Lehrer an der Seefahrtschule in Emden Privatunterricht in Mathematik, Physik und Astronomie. Bis 1815 unterrichtete Dirksen an ostfriesischen Volksschulen. Auf Empfehlung von Jabbo Oltmanns (1783-1833) erhielt er ein Stipendium für das Studium an der Universität Göttingen. Dort wurde Carl Friedrich Gauß auf ihn aufmerksam. Dirksen unterstützte Gauß bei der Berechnung von Kometen- und Planetoiden-Bahnen. Gauß blieb ihm zeit seines Lebens gewogen und äußerte sich positiv zu Dirksens Arbeiten. Im Februar 1820 promovierte Dirksen mit einer Arbeit über die Entwicklung der Winkelmessinstrumente. Danach ging er nach Berlin und half dem Astronomen Johann Elert Bode (1747-1826) bei seinen Beobachtungen und Rechnungen für das „Astronomische Jahrbuch“. Schon im Mai 1820 habilitierte sich Dirksen an der Berliner Universität für Mathematik und Astronomie. Im August 1820 wurde er auf Empfehlung von C. F. Gauß und Bernhard Friedrich Thibaut (1775-1832) zum außerordentlichen Professor für Mathematik ernannt. Bereits 1824 erhielt er eine ordentliche Professor für Mathematik, und 1825 wurde er in die Berliner Akademie der Wissenschaften gewählt. Dirksen war mit Oltmanns befreundet, der wie er aus Ostfriesland stammte; beide votierten an der Universität und an der Akademie stets in gleicher Weise. Dirksen beharrte auf seinen überzeugungen, auch wenn dies zu Konflikten führte. Vor allem mit dem Mathematiker Martin Ohm (1792-1872) geriet er mehrfach aneinander. Als sich 1848 eine schwere Krankheit des Gesichts einstellte, begab sich Dirksen nach Paris. Er starb dort 1850 und ist auf dem Friedhof Montmartre begraben.
Grab von Enno Heeren Dirksen
Grab1) von Enno Heeren Dirksen
 
Dirksen hielt von 1820 bis 1848 regelmäßig Vorlesungen. Sie betrafen die traditionellen Bereiche der Universitätsmathematik, aber auch moderne Gebiete wie die Variationsrechnung. Dirksen war in Berlin recht aktiv; unter anderem wirkte er an 20 Promotionen und vier Habilitationen mit, und an der Akademie trug er mehr als zwanzigmal vor. Seine Arbeiten behandelten bis 1823 vorrangig astronomische und danach überwiegend mathematische Themen aus der Analysis, der Algebra und der Funktionentheorie. Seine Analytische Darstellung der Variations-Rechnung, mit Anwendung derselben auf die Bestimmung des Grössten und Kleinsten (1823) ist eine der frühesten Darstellungen der Variationsrechnung. In einer Rezension von Cauchys Cours d’analyse zeigte Dirksen im Jahre 1829, dass Cauchys Satz, dass die Grenzfunktion einer konvergenten Reihe stetiger Funktionen ebenfalls stetig ist, nicht allgemein gilt und dass die Ursache in der fehlenden Vertauschbarkeit von Grenzübergängen liegt. Er suchte aber nicht nach mathematischen Bedingungen, mit deren Hilfe eine Gültigkeit erreichbar ist. So erfolgte die Explizierung des Begriffs der gleichmäßigen Konvergenz nicht durch Dirksen.
Titelblatt des Organon
Titelblatt des ersten Teils des Organon
 
In seinem Organon der gesammten transcendenten Analysis versuchte Dirksen, die Grundlagen der Analysis mit Hilfe der Reihenlehre einheitlich zu behandeln. Das Werk sollte aus drei Teilen bestehen: der „Algebraischen Elementarlehre der Analysis“, der „Transzendenten Elementarlehre der Analysis“ und der „Funktionenlehre der Analysis“. Nur der mittlere Teil ist erschienen (1845); umfangreiche Entwürfe für den Rest befinden sich in Dirksens Nachlass. Gauß lobte Dirksens Werk und betonte, dass er selbst schon früher ähnliche Versuche übernommen habe, um „die Grundbegriffe auf eine genügendere Art zu entwickeln“.
Dirksen gehört zu den Professoren, die die Mathematik an der Berliner Universität in den ersten Jahrzehnten nach ihrer Gründung nachhaltig beeinflusst haben. Die neuen Ansätze in der Mathematik, die sich kurz vor der Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelten, hat er nicht mehr vertreten.
 

Bildnachweis

Totenmaske   Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung von Klaas Kempe
Grab   Jürgen Hahn, Berlin, aufgenommen am 27.9.2008. Dank auch für die in der Fußnote 1) bereitgestellten Informationen zum Grab.
Titelblatt   aus: Enno Heeren Dirksen: Organon der gesammtentranscendenten Analysis, erster Theil. Transcendente Elementarlehre, Verlag G. Reimer, Berlin, 1845

1) Die nur schwer lesbare Inschrift des Grabsteins lautet:
ICI REPOSE
ENNO HERO DIRKSEN
PROFESSEUR DE MATHEMATIQUES
A L'UNIVERSITE DE BERLIN
 
(Die erste Zeile ist mit "Hier ruht" zu übersetzen, der Rest sollte auch ohne Französisch-Kenntnisse verständlich sein.) Das Grab befindet sich auf dem Friedhof Montmartre in der 7. Division, an der Avenue des Carrières in der 1. Reihe. Der Grabstein trägt noch den Friedhofsvermerk: Concession No 367 1850.