Mathematiker des Monats Januar 2019
Kurt Erich Schröder (1909-1978)
von Günter Bärwolff1)
 
Kurt Erich Schroeder
Kurt Erich Schröder (nach einem Gemälde von Walter Womacka)
 
Geboren wurde Kurt Schröder am 31. Juli 1909 in Berlin. Sein Vater war Eisenbahnarbeiter und seine Mutter Kunstgewerblerin. Von 1915 bis 1922 besuchte er die 220. Volksschule und in den Jahren 1922 bis 1928 das Köllnische Gymnasium. Schon während seiner Schulzeit ab 1927 hörte Kurt Schröder als Unterprimaner universitäre Mathematik-Vorlesungen z. B. bei Erhard Schmidt. Während seines sich anschließenden Studiums der Mathematik und der Physik an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin (heute Humboldt-Universität zu Berlin2)) hörte er unter anderem Vorlesungen bei Issai Schur, John von Neumann, Richard von Mises, Erwin Schrödinger, Ludwig Bieberbach und Georg Feigl.
1933 promovierte er bei Erhard Schmidt zum Thema „Einige Sätze aus der Theorie der kontinuierlichen Gruppen linearer Transformationen“ mit dem Prädikat Eximium, einer sehr seltenen Bewertung für außergewöhnliche Leistungen. Von 1933 bis 1937 war er Stipendiat und Assistent am Mathematischen Institut der Friedrich-Wilhelms-Universität. Nach dem Weggang von G. Feigl 1934 übernahm er die dann vakanten Vorlesungen und Kurse zur Einführung in die höhere Mathematik und zur analytischen Geometrie.
Da sein Gesuch um ein Dozentenstipendium auf Grund „politischer Inaktivität“ abgelehnt worden war, musste er seinen Lebensunterhalt anderweitig verdienen. Die gewünschte Fortsetzung einer wissenschaftlichen Laufbahn bot ihm in der Zeit von 1937 bis 1945 eine Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt (DVL) in Berlin-Adlershof, allerdings um den Preis des Eintritts in die NSDAP trotz fehlender Neigung. Bei der DVL befasste sich Kurt Schröder mit der Untersuchung von laminaren Grenzschichten unter dem Einfluss von Druckwellen. In einer Arbeit mit August Wilhelm Quick, [1], nutzte er das von Heinrich Görtler vorgeschlagene Differenzenverfahren zur numerischen Integration der Grenzschichtgleichungen als Spezialfall der Navier-Stokes Gleichungen. Eine ausführliche Darstellung dieser Untersuchungen und der angewandten numerischen Methoden ist im DVL-Bericht [2] von Kurt Schröder aus dem Jahr 1943 veröffentlicht. Mit seinen numerischen Berechnungen gehört er zweifellos zu den Pionieren der numerischen Strömungsmechanik, die heute als CFD (computational fluid dynamics) in vielen Bereichen der Verfahrenstechnik und dem Maschinenbau Anwendung findet. Obwohl er in der DVL stark anwendungsorientiert arbeitete, riss seine Beziehung zur Friedrich-Wilhelms-Universität nicht ab. So habilitierte er sich 1939 mit einer Arbeit zum Thema „Über k-parametrige Matrixgruppen“ und war ab 1940 als Dozent für reine und angewandte Mathematik an der Universität tätig. Nach dem Ende des 2. Weltkrieges fanden die DVL-Berichte bei den Alliierten großes Interesse, wovon auch die Übersetzung der DVL-Berichte (siehe nachstehende Abbildung) durch die NACA aus den USA zeugt.
Titelblatt
Titelblatt des übersetzten DVL-Berichts
 
Im August 1946 wurde Kurt Schröder Professor mit Lehrauftrag an der mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultät und am 7. November 1947 zum Professor mit Lehrstuhl für angewandte Mathematik an die Friedrich-Wilhelms-Universität berufen. Hier leitete Kurt Schröder von 1947 bis 1968 als Direktor das II. Mathematische Institut der Humboldt-Universität2). 1951 wurde er als ordentliches Mitglied in die Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin (DAW) gewählt. In den Jahren 1951 bis 1959 arbeitete Kurt Schröder auch als Prorektor für Forschungsangelegenheiten bevor er am 20. Mai 1959 vom akademischen Senat einstimmig zum Rektor der Humboldt-Universität gewählt wurde, ein Amt, das er bis 1965 innehatte.
Gemeinsam mit dem Vertreter der reinen Mathematik Josef Naas engagierte sich Kurt Schröder seit der unmittelbaren Nachkriegszeit sehr intensiv um den Aufbau eines Mathematik-Instituts an der Akademie, was schon im Oktober 1946 zur Gründung von mathematischen Forschungsinstituten an der DAW führte. Ab 1950 leitete er neben seiner Tätigkeit als Hochschullehrer das DAW-Institut für angewandte Mathematik, während Josef Naas gemeinsam mit Karl Schröter, Hans Reichardt, Hans-Jürgen Treder und Heinrich Grell das DAW-Institut für reine Mathematik leitete. 1959 wurde dank des Engagements von Schröder das DAW-Institut für angewandte Mathematik um einen Mechanik-Bereich erweitert. Aufgrund seiner frühen Arbeiten zur Strömungsberechnung hatte er eine große Affinität zur Rechentechnik und Numerik. Deshalb förderte er seit 1946 die Ausbildung in numerischer Mathematik mit Hilfe der vorhandenen mechanischen und elektromechannischen Rechenmaschinen. 1964 wurde, massiv von Kurt Schröder unterstützt, am II. Mathematischen Institut der Humboldt-Universität ein Rechenzentrum aufgebaut, das 1968 aus dem Institut ausgegliedert wurde und als selbständige Service-Einrichtung für alle Fakultäten zur Verfügung stand. Er war auch gegenüber der mathematischen Ökonomie und der von Norbert Wiener begründeten Kybernetik3) sehr aufgeschlossen.
In seiner Zeit als Rektor entstand eine sehr produktive Verbindung zu mathematischen Instituten in Moskau und Leningrad (heute Sankt Petersburg) und den herausragenden Vertretern der modernen Analysis, z. B. Morduchai Moiseewitsch Weinberg, Sergei Lwowitsch Sobolew, Solomon Grigorjewitsch Michlin und Olga Alexandrowna Ladyschenskaja. In diesem Zusammenhang kam der Michlin- und Sobolew-Schüler Arno Langenbach an die Humboldt-Universität und etablierte die angewandte Analysis in Sobolev-Räumen, der die dortigen (reinen) Mathematiker anfangs mit Vorbehalten begegneten. Langenbach vertrat in den Jahren 1959–1965 Schröder in der Lehre, so dass die Sobolev- und Hilbertraum-Theorie permanent Eingang in das Curriculum des Mathematik-Studiums fand und hauptsächlich von Herbert Gajewski und Konrad Gröger in der angewandten Forschung im DAW-Institut für angewandte Mathematik und Mechanik genutzt und weiter entwickelt wurde. Mit Langenbach wurde auch ein Seminar zur Thematik der angewandten Analysis begründet, das auch noch heute, lange nach dessen Tod, weiter geführt wird4). Langenbach folgte Kurt Schröder auf den Analysis-Lehrstuhl der Humboldt-Universität.
1971 wurden beide DAW-Mathematik-Institute zum Zentralinstitut für Mathematik und Mechanik (ZIMM) unter Leitung von Kurt Schröder zusammen geführt. Unter ihm entwickelte sich dieses Institut zu einem international anerkannten mathematischen Forschungsinstitut. Viele hochtalentierte Universitätsabsolventen oder aus politischen Gründen relegierte Studenten, die aus unterschiedlichen Gründen keine Position an Hochschulen erhielten, bekamen an der DAW und speziell am ZIMM und den Vorgängerinstituten Chancen zur wissenschaftlichen Forschung. Daran hat Kurt Schröder einen großen persönlichen Anteil. 1972 gab er die Leitung des Instituts ab, da er durch einen 1970 erlittenen Schlaganfall körperlich stark eingeschränkt war. 1974 wurde er emeritiert. In seinen letzten Lebensjahren hat er als ordentliches Mitglied der Akademie der Wissenschaften in der Klasse füur Mathematik und Naturwissenschaften gewirkt.
Mit der Auflösung der AdW5) im Rahmen des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik Deutschland wurde auch das mittlerweile in Karl-Weierstraß-Institut für Mathematik umbenannte ZIMM aufgelöst. Allerdings führte die hervorragende wissenschaftliche Reputation des Instituts zur Gründung des Weierstraß-Instituts für angewandte Analysis und Stochastik (WIAS) der Leibniz-Gemeinschaft, in dem ein Großteil der Mitarbeiter des von Kurt Schröder geprägten Instituts eine tragende Rolle spielten und spielen.
1978 starb Kurt Schröder im Alter von 69 Jahren in Berlin.
Grabstaette
Grabstätte von Kurt Schröder und dessen Gattin Ruth auf dem Städtischen Friedhof in Berlin-Grünau
 

Referenzen

[1]   August Wilhelm Quick und Kurt Schröder: Verhalten der laminaren Grenzschickt bei periodisch schwankendem Druckverlauf, Unters. Mitt. Dtsch. Luftfahrtforsch. 1257 (1944)
[2]   Kurt Schröder: A simple numerical method for the calculation of the laminar boundary layer, ZWB Forschungsbericht Nr. 1741, February 25, 1943
[3]   Biografische Datenbanken der Bundesunmittelbaren Stiftung öffentlichen Rechts/Bundestiftung Aufarbeitung
 

Bildnachweis

Porträt   Wolfgang Volk, Berlin; Kopie eines Gemäldes von Walter Womacka in der Galerie der Rektoren im ersten Obergeschoss des Hauptgebäudes der Humboldt-Universität, Unter den Linden 6, 10117 Berlin
Titelblatt   aus dem Fundus des Autors
Grabstätte   Wolfgang Volk, Berlin (siehe Mathematischer Ort des Monats Juni 2017 Grab von Kurt Schröder in Berlin-Grünau)

1) Der Autor hörte in den Jahren 1969-1970 Analysis-Vorlesungen von Kurt Schröder an der Humboldt-Universität zu Berlin, im Weierstraß-Hörsaal.
2) 1949 wurde die Friedrich-Wilhelms-Universität in Humboldt-Universität umbenannt.
3) Die Kybernetik wurde in der DDR – ganz im Sinne Wieners – interdisziplinär entwickelt und bezog Fragen aus Technik, Mathematik, Psychologie, Pädagogik, Ökonomie und Rechtswissenschaften ein.
4) am WIAS, heutiges Nachfolge-Institut des DAW-Instituts für angewandte Mathematik
5) Im Jahr 1972 wurde die Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin in Akademie der Wissenschaften der DDR (AdW) umbenannt.