Mathematischer Ort des Monats Februar 2024
Der Besselpark in Berlin-Kreuzberg
von Wolfgang Volk
 
Blick in den Besselpark
Blick in den Besselpark aus nordwestlicher Richtung
 
Der Besselpark wurde erst im Jahr 1995 als Parkanlage angelegt [7] und bestand im Wesentlichen aus einer Grünfläche mit einem Baumbestand am nördlichen und am westlichen Rand.1) Seit dem Jahr 2011 zieht in der südwestlichen Ecke dieses Parks eine größere metallne Skulptur des US-amerikanischen Künstlers Fletcher Benton (1931-2019) die Aufmerksamkeit auf sich. Jedoch müssen zwangsläufig alle Versuche scheitern, diese Skulptur mit dem Namensgeber der Parkanlage, dem Astronomen Friedrich Wilhelm Bessel (1784-1846), oder der in den Jahren 1835 bis 1913 in der Nähe der südöstlichen Ecke des Besselparks (heute Fromet-und-Moses-Mendelsohn-Platz) ansässigen Berliner Sternwarte (siehe unter anderem [3] und [5]) in Beziehung zu bringen. Dies wird einem gewahr, sobald man die Bezeichnung des Kunstwerks kennt: Tilted Donut Wedge with Two Balls, auf deutsch „Gekippter Donut2), Keil mit zwei Kugeln“3)).
Kunstwerk von Fletcher Benton
Metallskulptur von Fletcher Benton
 
In den Jahren 2019-2020 wurde der Besselpark in dem Sinne „revitalisiert“ [2], dass neue Wege angelegt wurden, welche es erlauben, das Arreal auch schräg beziehungsweise diagonal zu durchqueren, aber auch Sitzgelegenheit bieten. Der Park erhielt durch diese Maßnahme noch weitere Ausstattung, so im westlichen Teil – den Wunschbrunnen.
Die neuen Wege sind aus unregelmäßig geformten Betonplatten zusammengefügt, die teilweise mit unterschiedlichen, eingravierten Motiven gestaltet sind, die ihrerseits eng mit dem Namensgeber des Parks, Friedrich Wilhelm Bessel, in Beziehung stehen.
Betritt man den Besselpark aus südöstlicher Richtung – also vom Fromet-und-Moses-Mendelsohn-Platz aus – dort, wo früher die Berliner Sternwarte stand, so fällt als erstes ein Porträt von F. W. Bessel auf, das – an dieser Stelle, die einzelnen Motive sind durchaus im Park mehrfach anzutreffen – mit seinem Namen und seiner Unterschrift ergänzt ist.
Portrait
Porträt von Friedrich Wilhelm Bessel
 
Friedrich Wilhelm Bessel wurde am 22. Juli 1784 in Minden (Westfalen) geboren. (Die wechselvolle Geschichte dieser Stadt ist in [9] nachzulesen.) Sein Interesse für die Astronomie erwachte während seiner Ausbildung zum Kaufmann in Bremen. Die hierfür zum Verständnis benötigten mathematischen Grundlagen eignete er sich im Selbststudium an. Mit einer von Franz Xaver von Zach angeregten aber selbstständig erarbeiteten Bahnbestimmung des Halleyschen Kometen erwarb er 1804 die Aufmerksamkeit des Bremer Arztes und Astronomen Heinrich Wilhelm Olbers, der ihm daraufhin eine Stellung an der privaten Sternwarte Lilienthal von Johann Hieronymus Schroeter vermittelte. Im Jahr 1809 wurde Bessel als Professor für Astronomie an die Universität Königsberg berufen und mit der Leitung der dortigen, zu errichtenden Sternwarte betraut. An beiden Institutionen wirkte er bis zu seinem Tod im Jahr 1846.
Konsequenterweise sind auf den neu angelegten Wegen des Besselparks auch astronomisch inspirierte Motive zu entdecken: so ein Sonnensystem mit Planeten,
Sonnensystem
Sonnensystem mit Planeten
 
wobei es eher unwahrscheinlich ist, dass zu Bessels Zeiten die Existenz von Exoplaneten diskutiert wurde, sowie die Sternbilder Schwan und Leier des nördlichen Sternhimmels.4)
Schwan und Leier
Die Sternbilder Schwan (unten) und Leier (oben)
 
Selbstverständlich stellt sich die Frage, warum ausgerechnt diese beiden Sternbilder hier hervorgehoben werden. Für das Sternbild Leier (lateinisch: Lyra) lässt sich das nicht separat beantworten – immerhin bilden die Hauptsterne Wega (manchmal auch Vega, α Lyrae) und Deneb (α Cygnii), das heißt die beiden hellsten Sterne der Sternbilder Leier und Schwan, zusammen mit dem hellsten Stern Altair (gelegentlich auch Atair, α Aquilae) im Sternbild Adler die auffällige – und damit bekannte – Sternenkonstellation des „Sommerdreiecks“.
Allerdings hat das Sternbild Schwan im Zusammnhang mit F. W. Bessel noch eine besondere Bedeutung: Mit dem eher unscheinbaren (Doppel-)stern 61 Cygnii der Größenklasse 5 (dieser wird auch Bessels Stern genannt und fiel durch eine große Eigenbewegung sowie einen vergleichbar großen Abstand der Doppelstern-Komponenten auf) gelang es ihm erstmals aufgrund der Parallaxe, das heißt einer vergleichsweisen großen scheinbaren Lageänderung innerhalb eines halben Jahres, an der sich unser Planet Erde an diametralen Positionen seiner Umlaufbahn befindet, dessen Abstand zu unserem Sonnensystem zu bestimmen – es sind etwa 11 Lichtjahre. Dieser Stern ist in der nachstehenden grafischen Darstellung mit einen gelben Kreis links oberhalb des Zentrums optisch hervorgehoben.
Sternbilder Schwan und Leier
Die auffälligen Sternbilder Schwan und Leier sowie weitere, eher unscheinbarere Sternbilder in deren Umgebung, Bessels Stern ist markiert
 
Als weiteres Gestaltungselement der neuen Wege im Besselpark ist eine Art Landkarte wiedergegeben. Bei genauerer Betrachtung kann man den größten Teil der Küstenlinie Ostpreußns mit dem Kurischen Haff und der gleichnamigen Nehrung erkennen. (Das dargestellte Gebiet gehört heute teilweise zum Staat Litauen und teilweise zur Russischen Föderation.) Ferner weist diese Darstellung das Dreiecksnetz der Triangulation aus, die im Rahmen der von Friedrich Wilhelm Bessel in den 1830er Jahren durchgführten ostpreußischen Gradmessung angelegt wurde (siehe Tafel VII am Ende von [1]).
Das ursprüngliche Ziel dieser Vermessungsarbeiten war, die bereits bestehenden Triangulationen in Preußen und dem Russischen Reich zu verbinden. Die Sternwarte in Königsberg, deren Leitung F. W. Bessel innehatte, sollte in dieses Netz eingebunden werden. Durch ergänzende astronomische Beobachtungen wurden die Arbeiten zu einer Gradmessung ausgebaut (siehe auch die Ausführungen in [4]).
Triangulationsnetz
Dreiecksnetz der ostpreußischen Gradmessung
 
Ob es sich bei dem nachstehend abgebildeten Objekt um einen Sextanten oder um ein Heliotrop handelt kann nicht zweifelsfrei entschieden werden. Während seiner Ausbildung zum Kaufmann beschäftigte sich F. W. Bessel im Zusammenhang mit dem Überseehandel auch mit Navigation. Da Navigationsinstrumente für ihn in dieser Zeit unerschwinglich waren, baute er sich mit Unterstützung eines Tischlers und eines Uhrmachers selbst einen Sextanten. Möglicherweise zielt die folgende Darstellung auf diese Episode ab. Das Heliotrop5) hatte Carl Friedrich Gauß (1777-1855) im Zusammenhang mit der von ihm durchgeführten Vermessung des Königreichs Hannover entwickelt, um bei der Winkelmessung6) präziser die bei einer Triangulation weit entfernten Zielpunkte anvisieren zu können. Hierfür hat er Sextanten derart umgebaut, so dass mit ihnen das Licht der Sonne zum Beobachter, das heißt zum Standpunkt des Theodoliten, umgelenkt werden konnte. Die hellen Lichtpunkte waren über große Entfernungen gut zu beobachten. F. W. Bessel machte bei der ostpreußischen Gradmessung ebenfalls von Heliotropen Gebrauch [1].
Sextant
Sextant, möglicherweise auch ein Heliotrop
 
Ein Formelpaar ist ebenfalls als ausgestaltendes Element der Wegplatten zu erkennen. Diese stehen im Zusammenhang mit Bessels Untersuchungen zur Lagerung von Messstangen. Man findet die Formeln in [8, Abschnitt „Biegelinie“]
Formelpaar
Formelpaar
 

Referenzen

[1]   Friedrich Wilhelm Bessel: Gradmessung in Ostpreußen und ihre Verbindung mit Preußischen und Russischen Dreiecksketten, Berlin, 1838
[2]   Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg: Besselpark – Übersicht
[3]   Wolfgang Volk: Preußischer Normalhöhenpunkt 1879 in Berlin-Kreuzberg, mathematischer Ort des Monats September 2017
[4]   Wolfgang Volk: Denkmal für Johann Jacob Baeyer in Berlin-Müggelheim, mathematischer Ort des Monats Juni 2022
[5]   Wolfgang Volk: Tafel für Johann Gottfried Galle und Urbain Jean Joseph Le Verrier in Berlin-Kreuzberg, mathematischer Ort des Monats Oktober 2023
[6]   Wikipdia: Friedrich Wilhelm Bessel
[7]   Wikipdia: Besselpark
[8]   Wikipdia: Bessel-Punkt
[9]   Wikipdia: Geschichte der Stadt Minden
 

Bildnachweis

Plastik „Tilted Donut Wedge with Two Balls“   Wolfgang Volk, Berlin, September 2017
alle weiteren Fotos   Wolfgang Volk, Berlin, März – Mai 2022
Symbolbild mit den Sternbildern Leier und Schwan   erstellt mit der freien Software Stellarium
 

1) Der Autor hat dieses Arreal seinerzeit eher als Brache wahrgenommen.
2) „Donut“ wird üblicherweise mit „Krapfen“ übersetzt. Charakteristisch ist jedoch seine torus-förmige Gestalt.
3) Ob der Versuch, mit Interpunktion noch etwas zu retten, gelungen ist, kann hier nicht abschließend bewertet werden.
4) Leider muss man aber konstatieren, dass die Lage der beiden Sternbilder zueinander nicht korrekt wiedergegeben ist. (vergleiche die synthetische Wiedergabe der Sternbilder).
5) Auf der Rückseite der 10-DM-Banknote, die in den Jahren 1991-2002 von der Deutschen Bundesbank herausgegeben wurde, ist ein Heliotrop abgebildet (siehe zum Beispiel diese Banknote mit dem Porträt von Carl Friedrich Gauß).
6) Mit einem Theodoliten misst man im eigentlichen Sinne keine Winkel, sondern „beobachtet Richtungen“, indem man das Fadenkreuz des (Ziel-)Fernrohrs auf den Zielpunkt einstellt und am eingebauten Teilkreis – einer Art Winkelmesser, wie man sie vom Geometrie-Unterricht kennt – die Richtung mit hoher Genauigkeit abliest. Der wesentliche Unterschied zu einem Winkelmesser ist der, dass beim Teilkreis keine „Nullrichtung“ eingestellt wird. Winkelwerte werden anschließnd durch Differenzbildung von Richtungen rechnerich ermittelt.