Mathematiker des Monats Dezember 2018
Martin Ohm (1792-1872)
von Karin Reich
 
Martin Ohm
Martin Ohm
 
Martin Ohm unterrichtete fast 50 Jahre an der Universität Berlin und hatte damit wie kaum ein anderer einen lange andauernden Einfluss auf künftige Mathematikergenerationen. Er stammte aus einer Schlosserfamilie. Sein Vater Johann Wolfgang Ohm (1753-1822) war Universitätsschlossermeister in Erlangen, seine Mutter Maria Elisabeth Ohm, geb. Beck (+ 1799) war die Tochter eines Schneidermeisters. Die Familie hatte sieben Kinder, darunter Georg Simon Ohm (1787-1854), der ein berühmter Physiker wurde, und Martin, geboren am 6. Mai 1792 in Erlangen. Die beiden Brüder hatten ein besonders gutes Verhältnis zueinander.
Inschrift Fahrstr. 11
Inschrift am Haus in der Fahrstr. 11 in Erlangen
 
An der 1743 gegründeten Universität Erlangen wurde erst 1796 ein Lehrstuhl für Mathematik eingerichtet, den zunächst Carl Christian von Langsdorf (1757-1834) innehatte; bei ihm hatte Georg Simon Ohm im Jahre 1804 mit großem Erfolg eine Prüfung abgelegt. Aber Langsdorf wechselte 1804 an die neu gegründete Universität Wilna, sein Nachfolger in Erlangen wurde im selben Jahr Heinrich August Rothe (1773-1842). Georg Simon Ohm begann sein Studium an der Universität Erlangen im Jahre 1805, er musste es aber aus finanziellen Gründen schon bald wieder abbrechen und wirkte dann als Lehrer in der Schweiz.
Martin Ohm hatte bei Rothe nur eine Vorlesung gehört und zwar über die „Elementa Calculi Combinatorio-Integralis“. Ansonsten war Martin Ohm weitestgehend Autodidakt. Martin Ohm reichte seine Dissertation „De Elevatione Serierum Infinitarum Secundi Ordinis Ad Potestatem Exponentis Indeterminati“ ein, die veröffentlicht wurde. Im Jahre 1811 kehrte Georg Simon nach Erlangen zurück; sowohl Martin wie auch kurze Zeit später Georg Simon Ohm wurden im gleichen Jahr an der Universität Erlangen habilitiert. Georg Simon Ohm hatte eine schriftliche Arbeit über Licht und Farben eingereicht, die nicht publiziert wurde. Danach hielten beide Brüder für die nächsten drei Semester Mathematikvorlesungen an der Universität Erlangen, Georg Simon über Geometrie und Martin über Arithmetik, Algebra und Analysis. Georg Simon Ohm erhielt schließlich im Dezember 1812 eine Stelle als Lehrer an der Realstudienanstalt in Bamberg und wechselte 1817 an ein Gymnasium in Köln.
Inschrift Friedrichstr. 20
Inschrift am Haus in der Friedrichstr. 20 in Erlangen
 
In der Folgezeit wirkte Martin Ohm weiterhin an der Universität Erlangen als Privatdozent. Im Jahre 1816 veröffentlichte er sein erstes Lehrbuch, das mit dem Unterricht an der Universität in engem Zusammenhang stand: „Elementar-Zahlenlehre zum Gebrauch für Schulen und Selbstlernende auch als Leitfaden bey akademischen Vorlesungen“, das 1816 in Erlangen erschien. Im Jahre 1817 wurde er Oberlehrer am Gymnasium in Thorn (heute Toruń, Polen), wo er auch bildungspolitische Aktivitäten entwickelte.
Ab 1819 bemühte sich Martin Ohm um die Habilitation und damit eine Stelle an der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin, zunächst vergeblich. Seine Leistungen überzeugten nicht und es gab heftige Kritik. Bei seiner Bewerbung im Spätsommer 1821 reichte er seine Schrift „De innumerosis novis Logarithmorum generibus“ sowie seine Dissertation aus dem Jahre 1811 ein. Er hielt einen Probevortrag über „Einige allgemeine Betrachtungen über die Größen, besonders die entgegengesetzten Größen“; seine Probevorlesung war dem Thema „De arithmetices systemate rigorose exponendo“ gewidmet [4, S. 363]. So wurde Martin Ohm am 22. September 1821 habilitiert und wirkte nunmehr als Privatdozent an der Universität Berlin. Im Jahre 1822 begann er sein Werk „Versuch eines vollkommen consequenten Systems der Mathematik“ zu veröffentlichen, das aus neun Teilen besteht. Als erster behandelte er die Mathematik anhand einer gründlichen axiomatischen Methode, was Anerkennung verdient. Auf der anderen Seite war für ihn die Analysis nur ein formales Rechnen, er lehnte die Reihenkonvergenz ab und äußerte sich geringschätzig über die Erkenntnisse von Jacobi, Abel und Dirichlet. Daraus resultierte ein besonders schlechtes Verhältnis zu vielen seiner Kollegen [1, S. 109].
Nachdem im Jahre 1822 der erste Lehrstuhlinhaber der Universität Berlin Johann Georg Tralles (1763-1822) verstarb, wurde im Jahre 1824 Enno Heeren Dirksen (1792-1850) sein Nachfolger. Martin Ohm wiederum wurde am 7. Juni 1824 Dirksens Nachfolger als außerordentlicher Professor. Ohm unterrichtete darüber hinaus von 1824 bis 1831 an der Bauakademie; dort wurde sein Nachfolger Gustav Lejeune Dirichlet (1805-1859). Ferner unterrichtete Ohm an der 1810 gegründeten Preußischen Kriegsakademie. In den Jahren 1826 bis 1833 lebten die Brüder Martin und Georg Simon Ohm zusammen in Berlin. Georg Simon Ohm hatte sich vom Schuldienst beurlauben lassen; er veröffentlichte 1826 seine Arbeit, die das Ohmsche Gesetz enthielt, das ihn später weltberühmt machen sollte. Ab 1827 hielt Georg Simon Ohm wie auch sein Bruder Vorlesungen an der Preußischen Kriegsakademie. Erst 1833 erhielt Georg Simon Ohm wieder eine Stelle und zwar an der Polytechnischen Schule in Nürnberg.
Martin Ohm blieb weiterhin Lehrbuchautor und wurde nunmehr auch zum Lehrerausbilder; seine Vorlesungen erfreuten sich bei den Studenten großer Beliebtheit. In den Jahren 1825/26 erschien sein dreibändiges Lehrbuch „Die reine Elementarmathematik“ [11]. Im zweiten, der Geometrie gewidmeten Band führte er die Bezeichnung Goldener Schnitt ein, die sich schnell einbürgerte.
Martin Ohm: Die reine Elementar-Mathematik
Titelseite des zweiten Bandes zu [11] in der 2. Auflage
 
Martin Ohm - Goldener Schnitt
In der Fußnote auf dieser Seite verwendet Martin Ohm erstmalig in der Literatur den Begriff Goldenen Schnitt.
 
Im Jahre 1826 wurde Martin Ohm korrespondierendes Mitglied der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg und im Jahre 1832 korrespondierendes Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Martin Ohm stand damals auf dem Höhepunkt seiner Karriere.
Als Jabbo Oltmanns (geb. 1783), der an der Universität Berlin seit 1824 den zweiten Lehrstuhl innehatte, im Jahre 1833 starb, bewarb sich Martin Ohm um dieses Ordinariat, sein Antrag wurde aber abgelehnt.
1839 wurde Gustav Lejeune Dirichlet auf eine Professur an der Universität Berlin berufen, kurze Zeit später, in demselben Jahr, erhielt auch Martin Ohm eine ordentliche Professur; es handelte sich um den Dritten Lehrstuhl, der damals neu geschaffen wurde. Seine Antrittsvorlesung „De nonnullis seriebus infinitis summandis“ wurde veröffentlicht. In den Jahren von 1849 bis 1852 bekleidete Martin Ohm eine Position im preußischen Abgeordnetenhaus.
Was Martin Ohms Werk anbelangt, so besteht dieses hauptsächlich aus Lehrbüchern, nicht nur zur Mathematik, sondern auch zur Mechanik; es handelte sich meistens, aber nicht immer, um elementare Lehrbücher. Erst in späteren Jahren publizierte Martin Ohm auch einige wissenschaftliche Aufsätze in dem von August Leopold Crelle (1780-1855) herausgegebenen Journal für die reine und angewandte Mathematik. Nicht unerwähnt bleiben soll, dass er zahlreiche Rezensionen für die Leipziger Literaturzeitung verfasste, darunter auch über Augustin-Louis Cauchys „Lehrbuch der algebraischen Analysis“1) [6]. Des Weiteren fungierte er mehrfach als Zweitgutachter bei Promotionen, so bei Doktoranden von Lejeune Dirichlet und von Ernst Eduard Kummer (1810-1893), der 1855 an die Universität Berlin berufen wurde.
Im Jahre 1868 wurde Martin Ohm emeritiert, sein Lehrstuhl wurde nicht wieder besetzt. Er hielt bis zum Wintersemester 1871/72 weiterhin Vorlesungen und verstarb am 1. April 1872 in Berlin.
 

Referenzen

[1]   Heinrich Begehr (Hrsg.): Mathematik in Berlin – Geschichte und Dokumentation, 1. Halbband, Shaker Verlag, Aachen, 1998, ISBN: 978-3-8285-4225-1
[2]   Heinrich Begehr (Hrsg.): Mathematik in Berlin – Geschichte und Dokumentation, 2. Halbband, Shaker Verlag, Aachen, 1998, ISBN: 978-3-8285-4226-8
[3]   Bernd Bekemeier: Martin Ohm (1792-1872): Universitäts- und Schulmathematik in der neuhumanistischen Bildungsreform, Vandenhoeck & Ruprecht Verlage, Göttingen, 1987, dort Schriftenverzeichnis von Martin Ohm (S. 293 - 298), ISBN: 978-3-525-40311-2
[4]   Kurt-Reinhard Biermann: Die Mathematik und ihre Dozenten an der Berliner Universität 1810–1933, Akademie Verlag, Berlin 1988, ISBN: 978-3-05500402-5
[5]   Moritz Cantor: Ohm, Martin, in: Allgemeine Deutsche Biographie 24 (1887), S. 203 - 204
[6]   Augustin-Louis Cauchy: Lehrbuch der algebraischen Analysis, aus dem Französischen übersetzt von C. L. B. Huzler, Verlag d. Gebr. Bornträger, Königsberg, 1828
[7]   Hans Niels Jahnke: Motive und Probleme der Arithmetisierung der Mathematik in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts – Cauchys Analysis in der Sicht des Mathematikers Martin Ohm, Archive for History of Exact Sciences 37 (1987), S. 101 - 182
[8]   Martin Ohm: De Elevatione Serierum Infinitarum Secundi Ordinis Ad Potestatem Exponentis Indeterminati, Erlangen 1811, 1 Bl. + 30 S.
[9]   Martin Ohm: Elementar-Zahlenlehre zum Gebrauch für Schulen und Selbstlernende auch als Leitfaden bey akademischen Vorlesungen, Palm und Enke Verlag, Erlangen, 1816
[10]   Martin Ohm: Versuch eines vollkommen consequenten Systems der Mathematik, Bd. 1+2: Lehrbuch der niedern Analysis, Verlag T. H. Riemann, Berlin, 1828 und 1829
Bd. 3+4: Lehrbuch der höhern Analysis, Verlag T. H. Riemann, Berlin, 1829 und 1830
Bd. 5-7: Lehrbuch der höhern Analysis, Verlag C. H. Jonas, Berlin 1831 – 1833
Bd. 8+9: Versuch eines vollkommen consequenten Systems der Mathematik, Verlag d. F. Korn'schen Buchhandlung, Nürnberg, 1851 und 1852
[11]   Martin Ohm: Die reine Elementar-Mathematik, Bd. 1, Bd. 2, Bd. 3, Verlag T. H. Riemann, Berlin 1825, 1826, 1826. 2. Aufl., Verlag C. H. Jonas, Berlin 1834, 1835, 1839, 3. Aufl., Berlin 1844, 1844, 1847
[12]   Martin Ohm: De nonnullis seriebus infinitis summandis, Verlag Trowitzsch & Söhne, Berlin, 1839, 15 S.
[13]   Gert Schubring: Das Mathematische Leben in Berlin – Zu einer entstehenden Profession an Hand von Briefen des aus Erlangen stammenden Martin Ohm an seinen Bruder Georg Simon, in: Erlanger Bausteine zur Fränkischen Heimatforschung, Jahrbuch 30 (1983), S.221 - 249
[14]   Gert Schubring: Martin Ohm und Friedrich August Pfeiffer. Eine Ergänzung zu „Das Mathematische Leben in Berlin“, in: Erlanger Bausteine zur Fränkischen Heimatforschung, Jahrbuch 31 (1984), S. 203 - 205
 

Bildnachweis

Porträt   Lizenziert unter Public domain über Wikimedia Commons, Zeichnung durch Schwab (Zeichner) nach einer fotografischen Aufnahme durch Graff (Fotograf)
Inschriften   Wolfgang Volk, Berlin, August 2008, weitere Details unter Gedenktafel zu Georg Simon und Martin Ohm in Erlangen (1) und Gedenktafel zu Georg Simon und Martin Ohm in Erlangen (2)
Titelblatt und Zitat zum Goldenen Schnitt   Martin Ohm: Die reine Elementar-Mathematik, 2. Band der zweiten Auflage, Berlin 1835, Titelblatt und S. 194 des Exemplars der Staatsbibliothek zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz, Sign. Oa 784-2

1) Leipziger Literatur-Zeitung, Nr. 255, Oktober 1829, S. 2033 - 2038